Das verschollene Rezept

Blick in den Experimentofen mit Holz | Foto: LWL-Archäologie für Westfalen

Schon länger ist Dank archäologischen Forschungen bekannt, dass das Siegerland im Süden Nordrhein-Westfalens eine Sonderstellung in der Eisenzeit innehatte: Hier rauchten tausende der größten Verhüttungsöfen ihrer Zeit in Europa, hier wurden enorme Mengen Eisen erzeugt und verarbeitet. Aber wie?

Eine Forschungskooperation des Deutschen Bergbau-Museums Bochum, Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, der Ruhr-Universität Bochum und der LWL-Archäologie für Westfalen erforscht seit mittlerweile 20 Jahren das Siegerland. Forschende widmen sich den eisenzeitlichen Verhüttungs- und Schmiedeplätzen, analysieren Schlacken oder werten ausgegrabene Gräber und Siedlungen aus. Da die eisenzeitliche Montanlandschaft Siegerland europaweit von Bedeutung ist und eben gerade der genaue Ablauf der Eisengewinnung unbekannt ist, fokussierte sich die Forschungskooperation unter Federführung der LWL-Archäologie für Westfalen genau darauf.

In archäologischen Experimenten 2017 und 2018 gelang es, unterstützt von zahlreichen wissenschaftlichen Kooperationspartnern im LWL-Freilichtmuseum Hagen, die eisenzeitlichen Betriebsabläufe nachzuvollziehen, zu verstehen und völlig unerwartete Erkenntnisse zu einer der frühesten Hüttentechnologien Europas zu sammeln. Die Forschungskooperation baute nach archäologischen Vorbildern und mit authentischen Materialien einen Verhüttungsofen der Eisenzeit nach. Heinz Hadem aus Siegen-Oberschelden koordinierte insbesondere den Ofenbau, da er durch jahrzehntelange experimentalarchäologische Studien sich umfassendes Wissen zum Lehmbau angeeignet hatte.

Bewusst wurde Neuland betreten und überkommene Interpretationen verweorfen: Bis zu der Experimentreihe wurden zum Beispiel archäologischen Befunde von ausgegrabenen Verhüttungsöfen des Siegerlandes in der Experimentalarchäologie entweder ignoriert oder bis zur Unkenntlichkeit angepasst. Die Birnenform der eisenzeitlichen Öfen im Siegerland wurde folglich nicht nachgebaut oder durch Anbauten völlig verändert – es wurde aber genau diese archäologisch nachgewiesene Birnenform realisiert. 

Zudem ist wichtig, dass archäologisch gewiesen werden konnte, dass in der Eisenzeit des Siegerlandes keine Meiler existierten. In Meilern wird Holzkohle hergestellt. Folglich arbeiteten die eisenzeitlichen Hüttenleute mit Holz. Es gelang in einem mehrstufigen Verfahren den Experimentofen zunächst als Meiler zu fahren und dann anschließend mit ihm zu verhütten.
Ein verschollenes Rezept war wiederentdeckt! Jedenfalls erste wichtige Bruchstücke, denn natürlich bleibt noch viel zu erforschen.

Highlight der Experimentreihen war es, dass es gelang, während des Verhüttungsprozesses aus der unteren Ofenöffnung Schlacke (Abfälle) sowie Luppe (Stahl) herauszuziehen, ohne den Verhüttungsprozess dazu beenden zu müssen. Mit den eisenzeitlichen Öfen des Siegerlandes war es folglich möglich in einem kontinuierlichen Prozess Stahl zu erzeugen – technologisches Know-How, welches man bis dahin frühestens den fast 1000 Jahre später lebenden Menschen des  ausgehenden Mittelalters zugeschrieben hatte!

Am 11.09.2022 findet wieder der Tag des offenen Denkmals statt. Am „Gerhardsseifen“ bei Siegen-Niederschelden im Siegerland werden dann gut erhaltene Befunde präsentiert, nämlich eine eisenzeitliche sowie eine mittelalterliche Verhüttungswerkstatt. Sie befinden sich in einem Schutzbau. Dieser und auch ein attraktiver Themenwanderweg werden vom Trägerverein „Ein Siegerländer Tal e.V.“ betrieben, der zu Führungen einlädt. An diesem Tag werden diese europaweit einmaligen Befunde präsentiert. Zugleich wird am 11.09.2022 der Hauptfilm zum archäologischen Experiment veröffentlicht.

Hier geht es zum zweiten Trailer.