Online-Tagung zu "Menschen im Bergbau"

Mitarbeitende bei der Transkription von Interviews

Transkribieren von Interviews (2016) | Foto: Lichtblicke

Im Rahmen des Projektes "Digitaler Gedächtnisspeicher: Menschen im Bergbau" findet am 07. und 08. Mai 2021 eine digitale Tagung mit Workshop und Podiumsgespräch statt. Im Mittelpunkt stehen Perspektiven auf Oral History, Industriekultur und Vermittlung. Die Veranstaltung findet digital statt, die Anmeldung ist bis zum 15. April möglich.

Oral History hat im Ruhrgebiet eine lange Geschichte und ist in gewissem Sinne dennoch eine Randerscheinung geblieben. Bereits das Pionierprojekt der bundesdeutschen Oral History, das Anfang der 1980er Jahre unter dem Titel „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet“ (LUSIR) von Lutz Niethammer u. a. durchgeführt wurde, widmete sich auf Grundlage lebensgeschichtlicher Interviews den Erfahrungen der Arbeiterschaft im Ruhrgebiet vor, während und nach dem Nationalsozialismus. Gerade in methodisch-theoretischer Hinsicht wurden dabei Maßstäbe mit Blick auf das komplexe Verhältnis von historischer Erfahrung, Erinnerung und rückblickendem Erzählen gesetzt. Parallel dazu begannen zahlreiche Geschichtswerkstätten und historische Initiativen, durch die Arbeit mit Zeitzeuginnen und -zeugen dem Bemühen um eine „Geschichte von unten“ nachzukommen. Nicht zuletzt spielten in der Arbeit der Industriemuseen im Ruhrgebiet frühzeitig Zeitzeuginnen und -zeugen in mehrerlei Hinsicht eine Rolle dabei, die Arbeits- und Lebenswelt früherer Industriestandorte zu rekonstruieren. Als Museumsvermittlerinnen und -vermittler wie auch als Trägerschaften sozialer Erinnerung für Forschende und Kuratiernde wurden Zeitzeuginnen und -zeugen zu zentralen Handelnden der historischen Vermittlung. Auch im schulischen Kontext hat die Auseinandersetzung mit Zeitzeuginnen und -zeugen immer mehr Berücksichtigung gefunden, von bundesweiten wie regionalen Geschichtswettbewerben bis hin zu zahlreichen lokalen Schulinitiativen, auch und gerade zur Industriegeschichte im Ruhrgebiet.

Bei all diesen Zugängen bleibt aber die Frage, welcher Stellenwert „Zeitzeugenschaft“ jeweils beigemessen wurde. Wer sind hier die Verfassenden welcher Geschichte? Welche Stimmen kommen zu Wort, welche bleiben ausgeblendet? Behalten die Befragten ein gewisses Maß an Agency (und ist dies im Sinne einer kritischen Geschichtsschreibung überhaupt wünschenswert?) oder werden sie zu Talking Heads reduziert, denen nur mehr eine affirmative, illustrierende oder emotionalisierende Funktion zukommt? Zu fragen wäre auch nach den unterschiedlichen Methoden und Rahmungen der Befragung und anschließenden Auswertung.

Vielleicht gerade im Nachklang des industriekulturellen Erinnerungsbooms im Jahr der letzten Zechenschließungen 2018 mag es an der Zeit sein, auf die Praktiken der Oral History in der Industriekultur des Ruhrgebiets (und darüber hinaus) zu schauen. Ausgehend von den Ergebnissen des Projektes „Digitaler Gedächtnisspeicher: Menschen im Bergbau“, das von 2015 bis 2018 zahlreiche lebensgeschichtliche Interviews zur Geschichte des Steinkohlenbergbaus in der Bundesrepublik gesammelt hat und das sich seitdem u. a. mit Fragen der Rezeption und Vermittlung von Zeitzeugenschaft im Ruhrgebiet beschäftigt, fragt die Online-Tagung nach methodischen und inhaltlichen Perspektiven in der industrie- und speziell bergbaubezogenen Geschichtskultur. Dabei wird es einerseits um eine Rückschau auf die vielfältigen Praktiken in der Arbeit mit Zeitzeuginnen und -zeugen gehen. Andererseits werden Möglichkeiten einer zeitgemäßen Oral-History-Praxis diskutiert, nicht zuletzt auch mit Blick auf digitale Formen der Präsentation lebensgeschichtlicher Interviews. Zudem soll gefragt werden, welche inhaltlichen Verschiebungen sich in vierzig Jahren Erinnerungsarbeit ergeben haben und welche Themen sich für eine heutige Oral History in (vermeintlich) nach-industriellen Zeiten neu stellen. Schließlich wird es darum gehen, welche Chancen und Herausforderungen Zeitzeuginnen und -zeugen für das historisch-politische Lernen bereithalten. Dabei kann gerade der hier gewählte thematische Schwerpunkt des Steinkohlenbergbaus die Potentiale von diesen Berichten auch über die Thematiken von Diktaturerfahrungen und historischen Großereignissen hinaus verdeutlichen und mit Schlaglichtern auf Arbeit, Alltag, Strukturwandel, Migration u.a. neue Potenziale für den Geschichtsunterricht eröffnen.

Die vier leitenden Fragen der Veranstaltung lauten:

  • Wo zeigen sich die Chancen und Grenzen (angewandter) Oral History in Vergangenheit und Gegenwart? Was sind ihre Perspektiven für das Ruhrgebiet?
  • Welche Rolle spielten und spielen Zeitzeuginnen und -zeugen sowie ihre Erinnerungserzählungen für die Erinnerungskultur des Ruhrbergbaus? Wie zeigt sich der Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen Agency und Repräsentation: Wer erzählt welche Geschichte(n)? Wessen Perspektive wird (nicht) gehört?
  • Welche Wirkmechanismen gehen mit der Medialisierung von Zeitzeugenschaft einher (u. a. Geschichtsschreibung, Museen, Film/TV)? Wie wird aus persönlichen Erzählungen die „kollektive Erinnerung“?
  • Was sind die Potenziale von Oral History (des Steinkohlenbergbaus) und/oder der Auseinandersetzung mit Zeitzeuginnen und -zeugen im Schulunterricht?

Programm, Zielgruppen & Anmeldung

Das vollständige Programm finden Sie hier.

Die Tagung richtet sich an Forschende, Agierende der Geschichtskultur ebenso wie an Lehrpersonen. Teilnehmende Lehrpersonen erhalten im Anschluss ein Teilnahmezertifikat der Professional School of Education (PSE) der Ruhr-Universität Bochum und können die Veranstaltung somit als Fortbildung anrechnen lassen. Bedingung dazu ist die Teilnahme an dem Workshop „Digitales Lernen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Das Projekt MiBLabor“. Die Veranstaltung findet digital statt.

Eine Anmeldung ist bis zum 15. April 2021 möglich. Die Zahl der Teilnehmenden ist, insbesondere für den Workshop am zweiten Programmtag, begrenzt.
Teile der Veranstaltung werden aufgezeichnet und im Anschluss online veröffentlicht.

Die Anmeldung erfolgt über ein Onlineformular.

Veranstaltet wird die Tagung durch die Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets, die Ruhr-Universität Bochum und das montan.dok. Gefördert wird das Projekt "Menschen im Bergbau" durch die RAG-Stiftung.